PIRATEN: Wie der Autobahn-Privatisierungsplan unsere Zukunft gefährdet. – Gastbeitrag von Oliver Bayer, MdL PIRATEN NRW
[Soundtrack: Highway to hell]
Eine Grundgesetzänderung soll Bundesverkehrsminister Dobrindt ermöglichen, knapp die Hälfte des Autobahnnetzes zu privatisieren. Später gehört auch wieder die PKW-Maut zu dem Plan, der die heilige „Schwarze Null“ auf Kosten unserer Zukunft schonen soll. Bereits die ersten Schritte dieses Plans sind ein großer Fehler, an dem wir lange leiden werden.
Die Liste beachticher Fehler in der Verkehrspolitik ist lang und ziemlich oft wurden sie von Lobbyisten großer Konzerne vorbereitet, die ihrer Industrie damit aber eigentlich nie wirklich einen Gefallen taten: von TollCollect bis zur Abwrackprämie. Und die Fehler wiederholen sich in besonders absurden Varianten: von der PKW-Maut bis zur Elektroautokaufprämie.
Kaum ein Fehler hat aber so nachhaltig ein ganzes Verkehrsnetz gefährdet und dem Verkehrsmittel geschadet wie der Versuch der Privatisierung der Deutschen Bahn. Gute Renditen und schöne Zahlen verdeckten so lange, dass Instandhaltung und Investitionen vernachlässigt wurden, bis sich auch die Renditen und Zahlen nicht mehr schönreden ließen.
Alte Bahnhöfe, oft Lebensmittelpunkt der Städte, waren verhökert, der Regionalverkehr ausgequetscht worden. Daten oder Infos der Bahn sind nun Betriebsgeheimnisse, an die ein Abgeordneter schlechter drankommt, als an ähnliche Daten echter Privatunternehmen. Und trotzdem ist fast jede Entscheidung der Bahn politisch, jeder Ausbau ein Ergebnis irgendeines politischen Deals. Eine Katastrophe, die nicht heilt.
Nun hätte die Verkehrspolitik eine Reform dringend nötig. Denn sie agiert noch immer, als sei die autogerechte Stadt der letzte Schrei. Verkehrswende und so; Ihr kennt das aus Sonntagsreden. Doch für eine sinnvolle Reform interessiert sich die Bundesregierung kein Stück – zuletzt bewiesen durch die verdreht konstruierte Elektroautokaufprämie. Man wiederholt lieber den Fehler mit der Bahnreform und will die Autobahnen privatisieren.
Straßen privat vorzufinanzieren – sogenanntes Public Private Partnership (PPP) – ist sehr praktisch, wenn man aktuell nicht so viel Geld ausgeben will oder darf, z.B. wegen einer Schuldenbremse oder einer „schwarzen Null„“. Derzeit kostet es den Staat zwar nur knapp 0% Zinsen – also gar nichts – Schulden aufzunehmen, doch lieber verspricht man Finanzinvestoren eine gute dauerhafte Rendite. Das spart die Kontrolle des Projekts durch die Parlamente und die Gewinne der Anleger werden schön gestreckt über 30 Jahre gezahlt.
Wir hatten dazu im Landtag NRW Anhörungen und Expertengespräche. So richtig gut verteidigen konnte das PPP-Konzept niemand. Die meisten Wissenschaftler(innen) und Lobbyisten wiesen auf Gefahren hin: Mehr Kosten und mehr Risiko, das mit schlechten Verträgen stiege. Weniger Ingenieure und deutlich mehr Juristen bräuchten also dann die Straßenbauämter, das führe zu Kompetenzverlust und Abhängigkeiten. Auf der PPP-Befürworterseite stand stets ein Argument: Private können es besser!
Ja, aber warum eigentlich? Die Frage muss lauten: Was müssen wir in den Ämtern Deutschlands tun, damit diese schnell, effizient und hochwertig bauen können? Die Bau-Kompetenz in private Hände legen und nur noch Juristen beschäftigen? Ganz sicher nicht. Eher im Gegenteil. Es gibt keinen Grund, warum Straßenbauämter schlechter wirtschaften müssen, als Private, die zudem noch Renditen erwirtschaften müssen und eine zusätzliche Verwaltungsebene bedeuten. Dass Private besser seien, entspricht zudem nicht den Tatsachen, wie man unter anderem an den Stellungnahmen des Bundesrechnungshofes sieht.
Meist müssen sich die Befürworter von PPP zwangsläufig zu PPP bekennen, denn nur dann gibt es eine Chance an den großen Geldtopf zu kommen, den Bundesminister Dobrindt in diesem Zusammenhang verspricht. Man müsse die Projekte einzeln abwägen, sagen sie dann: Einzelfallbetrachtung.
Damit kommen wir zu einem realistischen Blick auf die Möglichkeiten von PPP: Die Bundesregierung und Minister Dobrindt versprechen damit die ganze marode Verkehrsinfrastruktur sanieren und das Autobahnnetz ausbauen zu können. Ja, natürlich sind vor allem Autobahnen und Straßen gemeint – wir hängen ja noch im Zeitalter der autogerechten Stadt fest. Das jedoch ist nach dem Einzelfall-Prinzip völlig unrealistisch.
Ex-Verkehrsminister Kurt Bodewig, der heute einen guten Ruf als Verkehrsexperte hat und Kommissionen zur Verkehrsfinanzierung leitete, hat bei seiner letzten Betrachtung PPP bewusst ausgeklammert und sagt, PPP sei für die Finanzierung der Verkehrsinfrastruktur irrelevant. So viel Geld, wie man bräuchte, kämen damit nicht annähernd zusammen. Warum also wird um PPP so viel Wind gemacht, wenn es doch selbst dann kaum etwas bringt, wenn die Argumente pro PPP gelten würden?
Deshalb: Weil die große Koalition den ganz großen Fehler will. Die CSU und die mitregierenden Parteien CDU und SPD möchten sich nicht mit dem sinnlosen Verscherbeln von Tafelsilber oder der Verpfändung von Einzelprojekten aufhalten. Trotz 0% Zinsen wollen CDU, CSU, SPD, FDP und Grüne – auch in den Bundesländern – eisern an der „schwarzen Null“ und der Schuldenbremse festhalten und setzen darauf, dass Schulden privatisierter Ämter „nicht zählen“ und sich auch kaum parlamentarisch kontrollieren lassen. Dafür ist man bereit, trotz Nullrisiko für Großanleger hohe Renditen einzuräumen. Genau das suchen Finanzinvestoren, die derzeit Geld haben, es aber nicht risikoreich an StartUps oder ähnliche verleihen wollen. Sie suchen lieber gute Renditen ohne Risiko: Deutsche Autobahnen.
Bisher erfüllten übrigens Staatsanleihen diesen Zweck für Pensionsfonds und dergleichen; mit der Schuldenbremse gibt es weniger Staatsanleihen. Das zeigt den Irrsinn, erst eine Schuldenbremse zu vereinbaren, um dann zu zinsbester Zeit neue, intransparente und für den Staat nachteilhafte öffentliche Anlagemöglichkeiten zu schaffen.
Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel hat dazu von der Fratzscher-Kommission einen Bericht anfertigen lassen: Großanleger könnten von einer Infrastruktur-Privatisierung profitieren, ist das Ergebnis. Darunter seien ja auch wichtige Lebensversicherer und Fonds für die vielen Riesterrenten. Aber halt auch jeder andere Finanzinvestor. Die Infrastruktur und der Staat profitieren nicht.
Die Bundesregierung ist dazu entschlossen, für diese Wohltat für Finanzinvestoren sogar das Grundgesetz zu ändern. Die Finanzindustrie ist also wichtig oder zumindest einflussreich – so wie die Automobilindustrie und Energiekonzerne. Es soll eine zentrale Infrastrukturgesellschaft gegründet werden, die PPP-Aufträge vergibt, deren Anteile aber auch verkauft werden können. Nur etwas mehr als 50% sollen letztlich sicher im Staatsbesitz verbleiben. Damit würde der sinnvolle Grundsatz „Infrastruktur in öffentlicher Hand“ aufgegeben.
Das Grundgesetz muss dazu geändert werden, weil die Bundesländer derzeit den Straßenbau übernehmen. Doch die Bundesländer brauchen mehr Geld vom Bund in anderen Bereichen. Ein politischer Deal könnte die Länder dazu bringen, bei der Straßenbaureform samt Privatisierungsplänen mitzumachen.
In jener Realität macht dann auch die kompliziert konstruierte PKW-Maut Sinn, denn die bringt zwar weder Geld, noch hat sie eine Lenkungswirkung: Doch das dobrindtsche PKW-Maut-System sammelt Daten und eignet sich hervorragend, später auch Nutzungsgebühren für private Betreiber einzutreiben – ohne dass absehbar ist, dass Autofahrende noch einen Überblick über die von ihnen erhobenen Daten hätten. Dass die PKW-Maut auf Eis liegt, stört dabei nicht die PPP-Umsetzungspläne. Bis zur Wahl 2017 wird sie noch nicht gebraucht.
Die Debatte um die Autobahnen und PPP verdrängt wirksame Maßnahmen zur Rettung unserer Infrastruktur. Sie überdeckt, dass gerade im Schienennetz – siehe Bahnreform – die Instandhaltung aufgeholt, also teuer nachrepariert, werden muss. Sie übertüncht, dass unsere Infrastruktur grunderneuert und im Sinne einer Verkehrswende und auch des technischen und gesellschaftlichen Fortschritts (Smartphones, Pedelecs, Autonomes Fahren) umgebaut werden muss.
Wie aber sollen wir auf solche Entwicklungen zukünftig überhaupt noch reagieren, wenn wir das autogerechte System der 70er nun mit PPP-Verträgen von rund 30 Jahren Laufzeit weitere Jahrzehnte zementieren? Wir werden 2050 womöglich Finanzinvestoren für gute Renditen aus Infrastruktur bezahlen, die wir so gar nicht mehr brauchen. Ohne Risiko für den Finanzinvestor.
An der Bahnreform sieht man: Damit wir die Gesellschaft und die Infrastruktur auf Dauer mit den Folgen der Privatisierungsidee belasten, müssen am Ende nicht einmal Anteile der neuen Infrastrukturgesellschaft an Private verkauft werden. Die Fehler liegen bereits im Grundgedanken und damit im System.
Merken: Privatisierungsideen dürfen nicht darüber bestimmen, wie wir uns morgen fortbewegen. Wir brauchen dringend Investitionen in die Infrastruktur unserer Zukunft, nicht in die zukünftigen Renditen von Finanzinvestoren. Wir fordern große politische Anstrengungen für eine Verkehrswende, nicht für PPP-Verträge. Wir wollen mehr Planer und Ingenieure, nicht mehr Juristen in der öffentlichen Hand!
Infrastruktur gehört in öffentliche Hand. Überall.
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